Erkan Dinar

Offener Protestbrief zur Veranstaltung in Nürnberg zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der BRD und der Türkei!

Offener Protestbrief zur Veranstaltung in Nürnberg zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der BRD und der Türkei!

Am 30. Oktober 2021 hat es eine von der Stadt Nürnberg organisierte Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der BRD und der Türkei gegeben.

Im Nachgang dieser Veranstaltung gab es mehrere Artikel in der türkischsprachigen Presse, die direkt einen Kollegen, der seit vielen Jahren in Nürnberg wirkt, kriminalisiert haben. Ihm wurde, entgegen dem, was er tatsächlich gesagt hat, vorgeworfen, PKK-Propaganda zu verbreiten. Laut diesem und einem weiteren Artikel in der NN habe sich Oberbürgermeister Marcus König beim türkischen Generalkonsul entschuldigt, weil dieser bereits im Vorfeld gegen den Kollegen und weitere fortschrittliche Personen und Vereine gesprochen habe.

Dass der OB sich so positioniert, kritisieren wir, andere Vereine und Einzelpersonen und haben auch versucht persönlich mit ihm ins Gespräch zu kommen. Allerdings fand das Treffen, das wir vorgeschlagen haben, mit der Leiterin des KUF, statt mit dem Oberbürgermeister, statt.

Als politische Stimme der türkei-stämmigen Community habe ich den Offenen Brief an Oberbürgermeister König ebenfalls unterstützt:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister König,

wir schreiben Ihnen diesen Brief als Nürnberger Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, weil uns der Umgang mit der Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der BRD und der Türkei, die am 30. Oktober stattgefunden hat, stört.

In einer Mail hatten wir Sie bereits um ein persönliches Gespräch gebeten, doch ist dieses Gespräch mit Frau Fries, statt mit Ihnen zustande gekommen. Da es uns auch ganz konkret um Ihr Verhalten während und nach der Veranstaltung geht, war es uns wichtig, Sie erneut zu kontaktieren. Wir möchten somit einerseits unser Anliegen und unsere Bedenken erneut artikulieren, gleichzeitig möchten wir gerne Transparenz Ihrerseits, was die Veranstaltung und deren Nachgang angeht.

Wir erleben aktuell, wie Menschen, die viele Jahre in Nürnberg wirken und arbeiten, wie Mehmet Elbistan, kriminalisiert werden. Nicht anders kann man die Berichterstattung, allen voran in der türkischsprachigen Presse, bezeichnen. Wir wissen, dass das türkische Konsulat, und somit die Interessenvertretung der türkischen AKP-Regierung in Nürnberg, bereits im Vorfeld versucht hat, auf die Besetzung des Podiums und die Verteilung der Redebeiträge bei besagter Veranstaltung einzuwirken.

Im Anschluss der Veranstaltung wurde nicht nur in der türkischen Presse Mehmet Elbistan als Terrorist diffamiert, sondern der gesamte Ablauf der Veranstaltung wurde vollkommen falsch dargestellt. Eine gesunde, vielfältige Gesellschaft braucht nicht nur eine Haltung, sondern auch eine starke politische Bewusstseinseinstellung. Für das Miteinander in der Gesellschaft und für ein Demokratieverständnis ist neben unabhängiger Medienfreiheit, auch ein objektiv handelnder, – vor Berichterstattung intensiv recherchierender – Qualitätsjournalismus mit unparteiischer Bewusstseinseinstellung unverzichtbar und elementar wichtig. Bei einer Zeitung, wie Sabah, die im Wesentlichen nur parteiischem Journalismus nachgeht, wundert es die wenigsten, dass keine Unabhängigkeit und somit auch kein Qualitätsjournalismus vorliegt. Im Klartext: die Zeitung Sabah beugt sich der politischen Partei AKP, so sind auch die Inhalte der Berichterstattung zu lesen und zu werten.

Unser Anliegen ist, gerade mit der ethnischen, religiösen und ideologischen Vielfalt der türkeistämmigen Bevölkerung in Nürnberg, ein grundlegendes Leitbild, vor allem in unserer Stadt des Friedens und der Menschenrechte, somit eine gleichberechtigte Solidargemeinschaft zu verfolgen und aus einem solchen aktuellen Anlass unsere entschlossene Haltung gegen die ferngesteuerte politische Stigmatisierungen unsere Stimme zu erheben. Schließlich wurde die gesamte Veranstaltung aufgezeichnet und zeigt, dass es anders, als in der Zeitung dargestellt, abgelaufen ist. Doch was uns gewundert und offen gesagt auch schockiert hat, war sowohl in der türkischen Presse, als auch in einem Artikel der Nürnberger Nachrichten, davon zu lesen, dass Sie, Herr Oberbürgermeister, sich bei dem türkischen Generalkonsul für die Besetzung des Podiums entschuldigt hätten und den Wortbeitrag von Elbistan als „inakzeptabel“ bezeichnet hätten. Gab es eine Entschuldigung Ihrerseits?

Wir alle, und Sie sicherlich auch, wissen, wie es um die Menschenrechtssituation in der Türkei bestellt ist. Der türkische Staatspräsident Erdoğan hat die Gewaltenteilung in den vergangenen Jahren de facto ausgehebelt und seine eigene Macht gestärkt. In der Türkei werden Oppositionelle, Journalist:innen, kritische Kulturschaffende und alle Andersdenkenden strafrechtlich verfolgt. Es gibt genug prominente Fälle, wie Can Dündar, aber auch in Nürnberg befindet sich mit Şehbal Şenyurt Arınlı eine PEN-Stipendiatin, die ebenfalls an der besagten Veranstaltung teilgenommen hat. Mit dem Einwirken auf das Podium und die klare Ablehnung von fortschrittlichen türkeistämmigen Gruppen, versucht die türkische Regierung, durch ihre Vertretung in Deutschland, eben diese Kriminalisierung von Andersdenkenden hier fortzuführen. Die türkischen Lobbygruppen hier versuchen Druck auf die hier lebenden Andersdenkenden durch den Einfluss auf die Stadtspitze auszuüben. Gleichzeitig werden kritische Menschen, die in Deutschland leben, aber z.B. die deutsche Staatsbürgerschaft haben, angeprangert und bei der Einreise in die Türkei verfolgt und sogar verhaftet. Indem Sie nur das türkische Konsulat als Ansprechpartner wählen und sich öffentlich auf eine Seite stellen, lassen Sie sich für das Anliegen der türkischen Regierung instrumentalisieren.

Als Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Stadt der Menschenrechte, erwarten wir, als Nürnberger Bürger:innen, dass Sie versuchen das Zusammenleben zu stärken. Denn was hier gerade geschieht, ist ein bewusster Spaltungsversuch zwischen den türkeistämmigen Menschen in Nürnberg. Wir alle, die diesen Brief unterschrieben haben, setzen uns seit Jahren für ein Zusammenleben frei von Vorurteilen, Diskriminierung und Rassismus ein. In diesem Sinne bitten wir Sie darum, unser Anliegen ernst zu nehmen und mit uns ins Gespräch zu kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Erkan Dinar, Stadt- und Kreisrat a.D.

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