Erkan Dinar

Die Auflösung der Sowjetunion – eine geopolitische Katastrophe?!

Die Auflösung der Sowjetunion – eine geopolitische Katastrophe?!

Vor 30 Jahren, am 8. Dezember 1991, trafen sich unter strengster Geheimhaltung die Präsidenten der russischen, weißrussischen und der ukrainischen Sowjetrepublik, Boris Jelzin, Stanislaw Schuschkewitsch und Leonid Krawtschuk, im weißrussischen Regierungsjagdschloß Wiskuli im Nationalpark Beloweschskaja Puschtscha, nahe der polnischen Grenze. Die drei unterzeichneten ein Dokument, in dem das Ende der Existenz der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als völkerrechtliches Subjekt festgeschrieben wurde. Die anschließende Veröffentlichung des Ergebnisses dieses Treffens überraschte die Weltöffentlichkeit und führte zu Verwerfungen in der internationalen Politik und Wirtschaft, welche bis in die Gegenwart hineinwirken. Selbst die USA wurde mit dieser Nachricht überrascht, waren aber sofort mit CIA-Mitarbeitern vor Ort, nicht nur, um Präsenz zu zeigen.

Erinnern wir uns: Gorbatschows Perestroika- und Glasnost-Politik war gescheitert. Das sozialistische Weltsystem erodierte und die sowjetische Gesellschaft befand sich in einer tiefen Krise.

Unter dem Gesichtspunkt der Legitimität wiesen die Vereinbarungen von Wiskuli und ihre konspirativen Umstände staatsstreichartige Züge auf. Sie wurden geheim, hinter dem Rücken des Volkes vorbereitet und waren irregulär, weil sie gegen die Verfassungen der UdSSR und deren einzelnen Republiken verstießen. Am 17. März 1991 fand – unter massivem publizistischen Störfeuer Boris Jelzins und seiner Partei „Demokratisches Rußland“ – ein unionsweites Referendum statt, bei dem sich fast 77 Prozent der Gesamtbevölkerung, darunter die absolute Mehrheit der Bevölkerungen Rußlands, Weißrußlands, Kasachstans und der Ukraine, für den Erhalt der Union aussprachen. Die Folgen sollten für den überwiegenden Teil der russischen Bevölkerung in den dann folgenden Jahren von Jelzin und seiner Gefolgsleute betriebenen Raubtierkapitalismus katastrophale Züge annehmen.

Der russische Historiker Wassili Spizin formulierte in einem Beitrag: „Das Referendum im März 1991, bei dem 77 Prozent der Bürger für den Erhalt der Sowjetunion gestimmt hatten, hätten als Legimitation ausgereicht, damit Gorbatschow alle Vollmachten gehabt hätte, im Rahmen der Verfassung einen Ausnahmezustand auszurufen.“ Und weiter: „Es hätte genügt, diese Gruppe von Akteuren (Jelzin, Krawtschuk und Schuschkewitsch) zu verhaften, die nicht befugt waren, derartig gegen das Land zu handeln, und sie gemäß Artikel 58 des Strafgesetzbuches der UdSSR ,Verrat am Vaterland‘ zur Verantwortung zu ziehen.“

Der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin erklärte 2005 in einem Interview mit dem russischen Fernsehsender „Rossija 1“ rückblickend, daß er die „Auflösung der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ betrachte. Dies ließ westliche Politiker aufhorchen. Sie vermuteten, daß er mit seiner Präsidentschaft daran arbeite, die Sowjetunion wieder zu errichten. Ein Dauerthema, das hiesige Medien bis heute genüßlich pflegen.

In der innenpolitischen Entwicklung der Russischen Föderation spielt indes dieses Thema eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es ist bei vielen Menschen (über 36 %) immer noch aktuell. Putin hatte anläßlich des 30. Jahrestages der Auflösung der UdSSR noch einmal betont, daß mit dem Ende der Sowjetunion ein ganzer geschichtlicher Prozeß in der Historie Rußlands unterbrochen bzw. zerstört worden ist.

Frühere Bürger der DDR können nachvollziehen, was gesellschaftliche Umbrüche bedeuten können und wie es sich anfühlt, wenn man seiner eigenen Geschichte beraubt wird. Doch mehr als 70 Jahre Sowjetmacht und 40 Jahre Deutsche Demokratische Republik haben in der Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen tiefe Spuren hinterlassen, die noch lange nachwirken.

Lothar Schlüter

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