Erkan Dinar

Aserbaidschan und der Ukraine-Krieg!

Aserbaidschan und der Ukraine-Krieg!

Aserbaidschan ist offiziell das, was die Ukraine nach Willen des Kremls werden soll: neutral. Präsident Ilham Alijew sitzt aktuell sogar der Bewegung der Blockfreien Staaten vor. Realpolitisch versucht Baku den Balanceakt zwischen der alten Vormacht Russland und der Türkei. Ein strategisches Bündnis, das Baku am Vorabend des Krieges mit Moskau schloss, spiegelt in vielen Punkten die 2021 mit Ankara verabschiedete „Deklaration von Schuscha“ wider. Aserbaidschan wagt somit das Kunststück, seine Außenpolitik mit zwei oftmals rivalisierenden, manchmal kooperierenden regionalen Großmächten zu koordinieren.

Die Sympathien der Bevölkerung liegen dabei auf ukrainischer Seite. Eine Großdemonstration in Baku rief zur Solidarität mit der Ukraine auf. Sie wurde von der Polizei toleriert, die sonst sogar Frauen-Demonstrationen mit roher Gewalt auseinandertreibt. Aserbaidschan hält seit Ausbruch des Karabach-Konfliktes 1988 konsequent am Prinzip der „territorialen Integrität“ fest und steht damit naturgemäß auf Seiten Kiews, während die armenische Seite das Selbstbestimmungsrecht der Karabach-Armenier betont. Gleich nach Rückkehr aus Moskau brachte der aserbaidschanische Präsident Alijew 24 Tonnen Hilfsgüter für die von seinem formellen Bündnispartner Russland überfallene Ukraine auf den Weg. Unter dem Label der Neutralität versucht das ölreiche Aserbaidschan, seine Unabhängigkeit von Moskau zu festigen und außenpolitische Handlungsspielräume zu erweitern.

Aus Sicht der autoritären Führung in Baku konnte der Konflikt um Berg-Karabach durch den Krieg 2020 erfolgreich „gelöst“ werden: Weite, zuvor armenisch kontrollierte Gebiete gingen nach 44 Tagen brutaler Kämpfe zurück an Aserbaidschan. Der von der Türkei unterstützte Angriffskrieg wurde – trotz eklatantem Völkerrechtsbruch – von der internationalen Gemeinschaft nicht sanktioniert. Ein Stopp aserbaidschanischer Energielieferungen in die EU wurde nicht einmal für die Zeit der aktiven Kampfhandlungen in Erwägung gezogen. Weniger als fünf Prozent der EU-Rohölimporte stammen aus dem Land am Kaspischen Meer. Die Trans-Adria-Pipeline, mit der aserbaidschanisches Erdgas nach Italien fließen kann, wurde während des Krieges fertiggestellt. Womöglich bestärkte dies Moskau in der Annahme, eine Änderung des Status quo mit militärischen Mitteln würde international hingenommen werden. Im Zuge der westlichen Russland-Sanktionen hofft Baku nun auf Ausweitung seiner Energieexporte in die EU. Allerdings gibt es hier kurzfristig nur wenig Spielraum, da Produktions- und Exportkapazitäten knapp sind.

Quelle: https://www.ipg-journal.de

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